Meridian Zero

Leseprobe La Gomera

Direkt hinter dem Roque de Agando beginnt der Abstieg nach Benchijigua. So steil wie es am Anfang bergauf ging, führt der schmale Weg nun bergab, der steile und steinige Pfad geht mächtig auf die Knie. Bisher hatte ich Teleskop-Wanderstöcke immer für ein albernes Accessoire von Nordic-Walkern und Studiosus-Reisegruppen gehalten, jetzt hätte ich tatsächlich selber gerne welche.

Das winzige Bergdorf scheint völlig verlassen, nur die kleine Kapelle ist frisch renoviert. Daneben machen zwei, drei Häuser einen bewohnbaren Eindruck, genutzt werden sie wohl höchstens am Wochenende. Trotzdem stehen an der Hauptstraße niegelnagelneue Solar-Straßenlaternen. Die Gemeindeverwaltung wusste wohl nicht wohin mit den Fördergeldern aus dem Konjunkturprogramm.

Immerhin, es gibt eine Quelle, an denen ich meine Wasservorräte auffüllen kann. Die Sonne steht mittlerweile hoch am Himmel. Im Barranco de Santiago, das mich hinunter führt zum Meer, steht die Luft, es sind bestimmt dreißig Grad im Schatten. Alleine, es gibt keinen Schatten. Die Schlucht ist genau nach Süden ausgerichtet, kein einziger Baum steht hier. Ich wünsche mir den kühlen Lorbeerwald zurück.

Kurz vor dem Ziel komme ich gerade noch rechtzeitig in Pastrana an, die einzige Kneipe im Ort hat noch geöffnet. Es ist kurz vor vier, eigentlich wollten sie gerade zusperren. Der Kellner will mich schon wegschicken, aber der Wirt hat Mitleid mit einem durstigen Wanderer und ein eiskaltes Heineken im Kühlschrank. Die Situation ist ihm wohl auch etwas unangenehm, erst faltet er seinen Kellner lautstark in der Küche zusammen, dann gibt es noch ein paar Tapas aufs Haus, und später will er mir sogar noch eine Flasche für den Weg mitgeben. Nach der anstrengenden Wanderung schmeckt mir sogar das holländische Bier, wobei ich mir schon die Frage stelle, warum es ausgerechnet hier kein Dorada oder Tropical von den Inseln gibt. Offensichtlich ist die Globalisierung auch schon in dieses abgelegene Tal auf La Gomera vorgedrungen.